Der Uhrenpavillon aus dem Park der Gail'schen Villa in
Biebertal. Der farbig geflieste Dachaufbau des schnuckeligen Häuschens
wurde 1904 auf der Weltausstellung in St. Louis, USA, bewundert
und gewann damals eine Goldmedaille für den schönsten
Stand. Als in Dillenburg Anfang des 19. Jahrhunderts ein Tabakmonopol
eingeführt wurde, leitete Georg Philipp Gail heimlich eine
Lieferung nach Gießen um und gründete hier die Rauchtabakfabrik.
Gleiberg ist die Burg, von der die Besiedlung Gießens
ausging: In dem sumpfigen Gebiet der Wieseckmündung floss
die Lahn einst so breit, dass man dort furten konnte lange
bevor die erste Brücke gebaut wurde. Doch bei Hochwasser
konnte die Lahn ganz gewaltig anschwellen, und dann kamen die
Gleiberger Ritter nicht mehr über die Furt, um ihre Besitztümer
südlich der Lahn zu schützen. Also bauten sie eine Wasserburg,
die "burc ze din Giezzen" (Zu den Bächen). Um die
Burg herum wuchs eine kleine Siedlung, aus der sich die Stadt
Gießen entwickelte.
Das Liebig-Museum. Das ehemalige Wachhaus der historischen
Seltersberg-Kaserne an der Frankfurter Straße dient heute
als Museum für den wohl bedeutendsten Chemiker des 19. Jahrhunderts.
Justus Liebig hatte zwar kein Abitur, wird aber dafür sogar
bei Jules Vernes "Reise um den Mond" erwähnt. Dort
begann das Frühstück der Astronauten "... mit drei
Tassen vortrefflicher Bouillon, welche durch Auflösung jenes
köstlichen Liebig"schen Fleischextraktes gewonnen wurde
..." Liebig sind noch viele andere Erfindungen zu verdanken,
wie z. B. das Backpulver, der Silberspiegel, die verbesserte Elementaranalyse
oder die Stickstoffdüngung.
Der Engel. Vor dem Krieg stand über der Engel-Apotheke
ein schöner historistischer Engel im neobarocken Stil. Er
war aus Zinn gefertigt und vergoldet. Dann kam die Bombennacht
vom 6. Dezember 1944, und am nächsten Morgen war der Engel
verschwunden. Kein Stückchen von ihm ist je wieder gefunden
worden in den Trümmern des alten Gießen er muss
wohl davongeflogen sein. Manche Leute behaupten allerdings, der
Engel sei ganz banal geschmolzen. Immerhin habe Zinn ja einen
Schmelzpunkt von 232°C, und die britischen Brandbomben hätten
mit ihm quasi Zinngießen gemacht. Wie auch immer, in den
50ern wurde ein moderner Engel im Stil seiner Zeit entworfen,
und zwar von dem Maler Bartsch-Hofer. Der neue Engel wurde bei
Schönwandt in Nordeck in Kupfer getrieben und blattvergoldet.
Und für das Panorama-Foto hat er sich mal kurz auf der Post
niedergelassen.
Das Liebig-Denkmal. Ein Denkmal aus weißem Tiroler
Marmor, das 1890 von den Schülern Liebigs der Stadt geschenkt
wurde. Liebig steht dort in stolzer napoleonischer Haltung, den
Blick fest in die Ferne gerichtet wie es sich für
einen echten Forscher gehört. Zu seinen Füßen
sitzen zwei Frauenfiguren: Minerva und Ceres. Das Denkmal wurde
in den letzten Kriegstagen teilweise zerstört, doch damit
nicht genug: In den 50ern wurde das Material zum Auffüllen
von Bombentrichtern verwendet. Die Reste der Figuren liegen also
noch irgendwo unter Gießens Straßen. Das neue Liebig-Denkmal
sieht ein wenig makaber aus und besteht aus einer nüchternen
Stele, an der nach Trophäenart eine Bronzekopie des Kopfes
des alten Denkmals angebracht ist.
Der Schlammbeiser. Früher standen die Häuser
nicht Wand an Wand aneinander, sondern es gab oft einen schmalen
Zwischenraum. In diesem Freiraum hingen die Aborte, und unten
drunter standen große Kübel, wo die Fäkalien reinklatschten.
Wenn man mal musste, saß man also praktisch im Freien. Die
Gießener waren immer froh, wenn es mal geregnet hat, denn
dann wurden die Hauswände endlich sauber. Die Schlammb-Eiser
waren Männer mit langen Eisenstangen, mit denen sie die Kübel
aus den Lücken rausgezogen und den Inhalt entsorgt haben.
Irgendwann wurde dieser Ausdruck zu einem humorvollen Schimpfnamen
für die Gießener. Karl Brodhäcker hat sich vor
vielen Jahren mit seinem Freund, dem Grafiker und Kunstmaler Willi
Weide, zusammengesetzt, um die Figur des Schlammbeisers bildlich
darzustellen heraus kam eine große Lehmfigur, die
bei Rinker in Sinn in Bronze gegossen und an Geschäftspartner
und andere besondere Menschen verliehen wurde. Axel Pfeffer sähe
sie gerne als Statue in der Innenstadt. Abgesehen davon ist der
Schlammbeißer auch ein Fisch (Misgurnus fossilis), der mit
den Welsen verwandt ist und schlammige Gewässer liebt.
Die Trauernde Witwe. Hier steht ein Denkmal, das an das
Gießener Kampfgeschwader 55 "Greif" erinnern sollte.
Einige Piloten sollen in der Legion Condor der Franco-Diktatur
bei der Bombardierung spanischer Rebellen geholfen haben. Der
Bau des Denkmals wurde 1939 unterbrochen und sollte nach dem Endsieg
vollendet werden. Da dieser bekanntlich ausblieb, dauerte es bis
1956, bis das Mal durch einen Adler vervollständigt wurde.
Unbekannte Kriegsgegner montierten den Vogel in einer Nacht- und
Nebelaktion ab, so dass einige Jahre nur der einsame Pfeiler übrig
blieb.
Jetzt ist der Adler in einem Gebüsch in der Gegend von Staufenberg
wieder aufgetaucht und liegt momentan bei Buderus zum Restaurieren.
Vor einigen Jahren beschloss die Stadt, das (Krieger-) Denkmal
durch eine Texttafel zu einem Kriegs-Mahnmal umzuwidmen. Vom Künstler
Matthes I. von Oberhessen (der Rechte der beiden wilden Gesellen
vor dem Stadtkirchenturm) stammt die Idee, diese Umwidmung auch
bildlich zu vollziehen, nämlich eben durch die trauernde
schwangere Witwe, die (wenn das Geld zusammen kommt) vor der Säule
montiert werden würde. Vielleicht klappt es ja, dass das
Denkmal eines Tages dem Betrachter selbst die Entscheidung überlässt,
wer und was genau Täter, Helden und Opfer sind.
Der Greif-Vogel des Denkmals hat übrigens nichts mit dem
Greifen aus dem Gießener Stadtwappen zu tun. Der Greif aus
dem "G wie Gießen" ist kein Vogel, sondern ein
Fabelwesen aus Löwe und Adler, das im Mittelalter auch als
Christussymbol verwendet wurde.
Der Body-Builder Walter Klock ist die Symbolfigur des
deutschen Bodybuilding. Seit Ende der 70er lebt er dafür,
diesen damals sehr exotischen Sport zu verbreiten. Er gründete
den Hessischen Landesverband und träumt davon, dass Bodybuilding
eines Tages als Olympische Disziplin anerkannt wird. Das Verfahren
läuft, und wir drücken die (kräftigen) Daumen.
Max Hat"s. Gießens legendäres Kiosk, das
kurz unter dem unsäglichen Namen "Kiosk am Eck"
firmierte. Die Wurstlers punkrockten dazu:
Du isch dereinst die Aache schliese,
will ich begrabe wärn in Giese,
am liebste vornne vorm Max Hat"s,
im Lewwe wars mei Lieblingsplatz.
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Das Ideoskop ist ein ausgefuchstes optisches Instrument,
das die Vorzüge von Mikroskop, Teleskop und Fischaugenoptik
vereint. Es nimmt ein panaspektivisches Bild der Umgebung auf
und ermöglicht so Panoramen wie dieses, die die wichtigsten
Ansichten einer Stadt nahtlos vereinen.
Die Veterinärmedizin. Im 18 Jahrhundert, in einer
Zeit aufstrebender Landwirtschaft und verheerender Viehseuchen
wie der Rinderpest, wurde die ernsthaft betriebene Vieharzneykunst
allmählich salonfähig. Vorher war sie Sache niederer
Berufsstände gewesen, vom Hirten bis zum Henker. Die Gutachter
der Preußischen Akademie der Wissenschaften äußerten
damals noch, man können den "Professoribus nicht zumuten,
im Aas von Tieren zu wühlen". Doch die Gelehrten ließen
sich nicht aufhalten. In Gießen wird seit 1777 Vieharzneykunst
betrieben, seit 1872 als eigenständige Fakultät.
Der Satellit. EURECA (European Retrievable Carrier) war
eine freifliegende, wiederverwendbare Satellitenplattform. Sie
trug u.a. Experimente aus dem Strahlenzentrum der Universität,
dem zu dieser Zeit einzigen Forschungszentrum der NASA außerhalb
der USA (NASA Specialized Center of Research and Training). Eine
wesentliche Zielrichtung der Experimente war die Abschätzung
des Strahlenrisikos von Astronauten während Langzeitmissionen.
Weitere Experimente hatten exobiologische Fragestellungen sowie
den Test des am Fachbereich Physik entwickelten Ionentriebwerks
zum Inhalt. EURECA wurde am 2. August 1992 von der Raumfähre
Atlantis im All ausgesetzt und geriet wegen der Challenger-Explosion
unfreiwillig zur Langzeitmission. Erst nach 11monatiger Flugdauer
konnte sie vom Shuttle Endeavour wieder eingefangen und zur Auswertung
zur Erde zurückgebracht werden.
Der Capoeira-Tänzer. Capoeira entstand bei den Aufständen
der afrikanischen Sklaven, die im 16. Jahrhundert nach Brasilien
verschleppt worden waren. Jegliches Kampftraining war ihnen natürlich
verboten, also tarnten sie ihre Übungen als traditionellen
Tanz, bei dem die Kämpfenden von einer dichten Reihe von
Zuschauern verdeckt werden. Auf etlichen Höfen gelang die
Revolte gegen die weißen Sklavenhalter, und die Geflohenen
gründeten eigenständige Siedlungen, die Quilombos, die
oft in unwegsamen Gelände lagen. Einzelne befreite Sklaven
ließen sich bewusst wieder einfangen, um ihre Künste
weiter zu verbreiten und den Widerstand gegen die weißen
Herren weiter zu tragen. Am 13. Mai 1888 wurde die Sklaverei in
Brasilien endgültig abgeschafft. Heute ist der Kampf-Tanz
Capoeira eine Mischung aus Kampf und Spiel und gilt als die nach
dem Boxen am weitesten verbreitete, nicht-fernöstliche Kampfform.
Und wie man sieht, wird sie auch in Gießen betrieben.
Die Eule thronte einst hoch über der Bismarckstraße
auf dem Schlussstein der alten Alten Universitätsbibliothek
(s.o.). Heute sitzt sie hinten im Treppenhaus der neuen UB und
träumt wahrscheinlich von der frischen Luft auf ihrem alten
Stammplatz. Für das Panorama durfte sie mal kurz herauskommen
und sich neben einen steinernen Gefährten setzen.
Der Gießener Verkehrsflughafen wurde 1925 auf dem
Gelände "Am Stolzen Morgen" in Betrieb genommen,
das Empfangsgebäude zwei Jahre später. Die Lufthansa
flog von hier aus nach Frankfurt, nach Kassel und runter bis Freiburg
und Konstanz. In den 30ern wurde der Flughafen von der Luftwaffe
übernommen und ist seit dem Krieg Teil des US-Depots.
Der Schiffenberg mit seinem Kloster. Im ausgehenden 11.
Jahrhundert hatte Gräfin Clementina von Gleiberg ein Problem.
Ihr Mann, der streitbare Graf Konrad I. von Luxemburg, hatte sich
als treuer Gefolgsmann seines Königs Heinrich IV. mit Papst
Gregor VII. angelegt. Im Zuge der Auseinandersetzungen gegen die
reichbegüterten Klöster um den Erzstift Trier entführte
er sogar den Erzbischof selbst und hielt ihn gefangen. Doch die
Kirche erwies sich als mächtiger als die weltlichen Herrscher.
Wie König Heinrich IV. fiel auch Konrad I. unter den Kirchenbann.
Während der König am Ende seinen berühmten Gang
nach Canossa machte, brach der Graf zu einer Sühne-Pilgerfahrt
bis nach Palästina auf. Die heiligen Stätten durfte
er noch schauen, doch auf der Rückreise ereilte ihn am 8.
August des Jahres 1086 der Tod wenige Jahre, bevor Papst
Urban II. die westliche Christenheit zur Befreiung des Heiligen
Landes von heidnischer Herrschaft aufrief. Die tiefverwurzelte
Macht der Kirche zu jener Zeit lässt sich daran ermessen,
dass sich die Witwe Clementina noch 40 Jahre später (und
längst neu verheiratet) entschloss, dem Erzbistum Trier den
Schiffenberg zu stiften, auf dass dort ein Kloster errichtet werden
sollte aus politischen Gründen oder um die Absolution
für die Seele ihres ersten Mannes zu erlangen. Doch die Gründung
stand unter keinem guten Stern. Die Klostergemeinschaft von Augustinermönchen
und dem Chorfrauenstift Cella am Südhang des Schiffenberges
endete mit einer Klage vor dem Gießener Schöffengericht,
da die Mönche ihren Verpflichtungen gegenüber den Nonnen
nicht genügend nachkamen. Es folgten ewige Streitigkeiten
und Misswirtschaft. Das Kloster wurde 1323 aufgelöst, da
es "jetzt durch Sündenschuld in einen so erbärmlichen
Zustand herabgesunken ist, dass in diesem Kloster Gott nicht mehr
geehrt, der Gottesdienst nicht mehr gehalten wird, und die Brüder,
nachdem sie mit dem Habit auch die klösterliche Zucht abgeworfen,
nun wie Vagabunden, unstet, ohne Oberen und fast unverbesserlich
außerhalb des Klosters umherschweifen, nachdem sie sowohl
die beweglichen, als auch unbeweglichen Güter, die Bücher
und heiligen Gefäße und anderes kirchliches Gerät
verkauft, zerstückelt, zerstreut, veräußert und
zum größten Teil verzehrt haben. Ja, das Kloster selbst,
das ehemals ein Haus Gottes und frommer Menschen war, ist durch
den Feind der Religion, den Sämann des Unkrauts, ein Gegenstand
des Ärgernisses und der Schmach für die Nachbarschaft
geworden." So steht es in der Auflösungsurkunde. Das
Kloster wurde dem Deutschen Orden gegeben, bis dieser nach fast
500 Jahren von Napoleon aufgelöst wurde. Heute wird das Kloster
auf Gießens Hausberg als Erholungs- und Veranstaltungsort
von der Stadthallen GmbH verwaltet, und alljährlich findet
dort der "Musikalische Sommer" des Kulturamtes statt.
Von dem Nonnenkloster ist nichts mehr übrig als ein paar
Steine an der Hausener Straße, nur in der Gaststätte
erinnert eine Bilderreihe des Gießener Künstlers Bartsch-Hofer
an den Aufbruch des Grafen zu seiner Schicksalsfahrt vor fast
1000 Jahren.
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